07.11.2022
ArianeGroup hat mit Susie für Europa ein neuartiges Konzept einer intelligenten, vollständig wiederverwendbaren Raketenoberstufe entworfen. Susie wird sowohl mit der Ariane 6 fliegen können als auch mit europäischen Trägerraketen kommender Generationen. Diese Art von Raketenstufe soll dem künftigen Bedarf an automatisierten Transportleistungen, astronautischen Weltraummissionen und In-Orbit-Services Rechnung tragen und Europas strategische Autonomie stärken.
‘@ArianeGroup – Susie at lift-off on Ariane 6
Eine Prognose des zukünftigen Bedarfs an Weltraum-Transportsystemen zeigt die Notwendigkeit auf, den Zugang zum Weltraum völlig neu zu denken (Artikel: „Eine Familie wiederverwendbarer und umweltverträglicher Trägerraketen für Europa“). Die Fortbewegung im All zur Durchführung unterschiedlichster In-Orbit-Missionen, die Erkundung des Mondes und anderer Destinationen sowie die anschließende Rückkehr zur Erde werden zu unabdingbaren Voraussetzungen für die strategische Unabhängigkeit einer Raumfahrtnation.
Die US-Raumfahrtbehörde NASA und die Europäische Raumfahrtbehörde ESA befassen sich aktuell mit der Entwicklung einer Mondbasis (Lunar Gateway). Diese wird in den 2030er-Jahren in Betrieb gehen und auch danach kontinuierlich weiterentwickelt werden. Sie wird nicht nur als vorgelagerter „Stützpunkt“ und Basis zur Erforschung der Mondoberfläche sowie zur eventuellen Ressourcennutzung (ESA: In-situ resource utilization) vor Ort dienen, sondern auch als Montage-, Start- und Landeplatz der Raumfahrzeuge, die von dort aus zum Mars und in die Tiefen des Alls aufbrechen werden. Dass der Bereich Erkundung ein Schlüsselelement in Zusammenhang mit der Entwicklung moderner Weltrauminfrstrukturen darstellt, verdeutlicht auch die ESA mit ihrer Roadmap zur Strategie „Terrae Novae“. In der erdnahen Umlaufbahn werden zunehmend neue Infrastrukturen entstehen. Mit ihrer Hilfe werden wir unter anderem Gegenstände, Materialien oder Medikamente herstellen, deren Produktion der Schwerelosigkeit bedarf.
‘@ArianeGroup – Susie docked with an orbital station
Deshalb fordern ESA und Europäische Kommission einen Paradigmenwechsel in der europäischen Raumfahrt in Sachen Weltraumerkundung und astronautische Missionen und haben eine Reihe von Initiativen ins Leben gerufen.
Schlüsselmissionen rund ums All und retour
Hier bringt ArianeGroup Susie (Smart upper stage for innovative exploration) ins Spiel. Das innovative Konzept sieht eine komplett wiederverwendbare Raketenoberstufe vor, mit der alle künftigen Anforderungen in Bezug auf Transportleistungen ins All, im All und vom All aus abgedeckt werden sollen. Susie würde bisherige Nutzlastverkleidungen ersetzen, könnte automatisierte Cargoeinsätze absolvieren oder bemannte Missionen mit bis zu 5 Astronautinnen und Astronauten ausführen.
‘@ArianeGroup – Susie with cargo bay open
Susie ist ein vielseitiges, sicheres und zuverlässiges Raumfahrzeug in Modulbauweise, das für eine Vielzahl entscheidender Weltraummissionen eingesetzt werden kann. Die mögliche Aufgabenpalette umfasst unter anderem Aussetzen, Inspektion und Justierung von Satelliten und anderen Nutzlasten sowie die Versorgung von Raumstationen mit Treibstoff, Nahrungsmitteln und Ausrüstung. Möglich wären auch Besatzungsaustausch und Außeneinsätze von Astronauten. Anhand des Konzepts könnten in der Folge auch umfassende Infrastrukturen im Orbit eingerichtet und versorgt werden. Außerdem kann Susie zur Reduzierung des Weltraummülls beitragen und Satelliten am Ende ihrer Nutzung einsammeln und aus der Umlaufbahn entfernen.
Bei Susie handelt es sich um ein vollständig integriertes, alle Missionsfunktionen abdeckendes Konzept mit maximalem Wiederverwendungspotenzial. Dank seiner Multifunktionalität hebt es sich maßgeblich von bisherigen Kapselkonzepten ab, und das vor allem in puncto Wettbewerbsfähigkeit und wirtschaftliche Nachhaltigkeit.
Ariane 64 und die Trägerraketen von Morgen
Susie ist so konzipiert, dass sie in einigen Jahren mit einer Ariane 64 und auf längere Sicht auch mit deren Nachfolgemodellen auf Reisen Richtung Weltraum gehen wird können. Mit der Ariane 6 hat Europa schon bald eine enorm leistungsstarke, vielseitig einsetzbare und zur fortlaufenden Integration neuer Technologien und Funktionen fähige Trägerrakete im Portfolio. Nutzlastverkleidung und Upper Composite können problemlos durch Susie ersetzt werden. Die Maße des Raumfahrzeugs sind mit jenen der Trägerrakete kompatibel, und auch die Startmasse von 25 Tonnen entspricht den Leistungsparametern der Raketenversion mit 4 Boostern und Feststofftriebwerk P120C+ im niedrigen Orbit (LEO).
‘@ArianeGroup – Susie in orbit
Außerdem wäre eine stufenweise Weiterentwicklung von Susie realisierbar, wobei die automatisierte Cargo-Version als Ausgangsbasis dienen würde. In diesem Fall wären keinerlei Modifikationen an Ariane 6, der Startrampe oder den mobilen Portalkränen nötig. Die Inbetriebnahme der für bemannte Missionen ausgestatteten Version könnte nach einigen Tests und Anpassungen der Bodensegmente in einer zweiten Phase erfolgen.
Susie ist auch für die Post-Ariane 6-Ära gewappnet: Das Konzept ist wesentlicher Bestandteil des von ArianeGroup und seinen Partnern der ESA im Rahmen der NESTS-Initiative (New European Space Transportation Solutions) vorgeschlagenen Trägerraketenfamilienprojekts. Da Susie am Puls aller aktuellen und künftigen technologischen Entwicklungen ist, ist das Konzept Wegbereiter für komplett wiederverwendbare Trägerraketen.
Mit 7 Tonnen Nutzlast back to earth
Susie ist mit einen Tragrumpf, dem sogenannten „lifting body“, ausgestattet. Beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre wird damit ein Auftrieb erzeugt. Susie könnte dann mit immenser Geschwindigkeit (über Mach 25) über die äußersten Schichten der Erdatmosphäre gleiten, bevor sie die Crew wieder bequem in Richtung Heimat bringt. Ein hohes Maß an Steuerbarkeit ermöglicht außerdem punktgenaue Landemanöver. Mit 2,5 g ist die von der Besatzung wahrgenommene Beschleunigung geringer als jene, die man in den meisten Achterbahnen empfindet. Und auch in jeder Raumkapsel spürt man die Beschleunigung weit mehr. Nach dem Wiedereintritt in die Erdatmosphäre vollzieht Susie eine 180-Grad-Wende, richtet ihre aerodynamischen Oberflächen nach Außen und fährt ihr Fahrwerk aus, um mittels ihrer Triebwerke mit Schubsteuerung auf einer Landefläche im Raumfahrtzentrum von Französisch-Guayana oder vielleicht auch irgendwo anders auf der Welt senkrecht aufzusetzen.
Die Susie-Version für bemannte Missionen wird über ein Auswurfsystem verfügen, das die gesamte Mission, d.h. alle Phasen des Fluges, vom Start bis zur Landung, abdeckt. Das bedeutet auch absolute und andauernde Sicherheit für die Besatzung. Wie bei den in Kampfjets zur Anwendung kommenden Schleudersitzen des Typs „Zero/Zero“ zum Einsatz bei Null Geschwindigkeit und Null Flughöhe kann das System auch vom Boden aus aktiviert werden.
Susie punktet überdies mit einem komplett konfigurierbaren Innenvolumen von 40 m3 für Transport und Organisation einer Vielzahl von Nutzlasten im Rahmen aller Arten von Missionen im Orbit, egal ob automatisierte Cargo-Missionen oder Crew-Flüge. Sowohl beim Start als auch beim Rückflug wird Susie in der Lage sein, 7 Tonnen Ausrüstung unbeschadet zu transportieren. Dies betrifft Materialien und Produkte sowie eine komplette Besatzung inklusive aller Versorgungsgüter.
‘@ArianeGroup – Susie at landing