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Eine perfekt erprobte Chronologie vor dem Ariane 6-Erstflug 30.05.2024 |  5 Minuten

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Die Heißlauftests der Ariane°6-Stufen: Folge 2

Der 23. November 2023 war ein historisches Datum für die Vorbereitung der Inbetriebnahme der Ariane 6. Im europäischen Weltraumbahnhof in Kourou in Französisch-Guayana führten die Teams von ESA, ArianeGroup und CNES-Teams einen entscheidenden Test vor dem Erstflug durch: den Langzeit-Heißlauftest der Ariane 6-Hauptstufe nach einem vollständigen Testlauf der Startchronologie.

 

Dieser Langzeit-Heißlauftest der Hauptstufe war ein Schlüsselmoment innerhalb der Entwicklung der Ariane 6 und ein Höhepunkt der kombinierten Testkampagne in Kourou. Er wurde am 23. November 2023 durchgeführt und dauerte etwa 30 Stunden, in denen alle Schritte der Startchronologie geprobt wurden.

Zunächst wurden die Avioniksysteme an Bord der Trägerrakete eingeschaltet, darauf folgte die Füllung des Flüssighelium-Teilsystems, das zur Druckbeaufschlagung des Flüssigsauerstofftanks der Hauptstufe dient. Anschließend musste die Luft aus allen Leitungen und Hohlräumen der Trägerrakete entfernt und durch neutrale Gase – Helium oder Stickstoff – ersetzt werden. Es ging darum, sicherzustellen, dass nicht die geringste Spur von Feuchtigkeit vorhanden war, bevor mit der Kühlung der Versorgungsleitungen – zunächst am Boden, dann an Bord der Trägerrakete – und dann mit der Kühlung der Tanks begonnen wurde.

 

 

Thermischer Schock

Ohne diese Vorbereitungen würde nach der plötzlichen Einleitung des kryogenen Treibstoffs (flüssiger Wasserstoff und Sauerstoff) durch Restfeuchtigkeit in den Versorgungsleitungen oder Tanks Eis gebildet, und der thermische Schock aufgrund des großen Temperaturunterschieds könnte zu Strukturschäden führen. Tatsächlich beträgt die Umgebungstemperatur in Französisch-Guayana durchschnittlich 35°C, während die Temperatur von flüssigem Wasserstoff (LH2) bei -253°C und von flüssigem Sauerstoff (LOx) bei -183°C liegt. Nach abgeschlossener Kühlung der Tanks wurden die Treibstoffe eingefüllt.

Obwohl bei diesem Test nur die Zündung der Hauptstufe und ihres Triebwerks Vulcain 2.1 stattfand, wurden tatsächlich die Flüssigtreibstofftanks beider Stufen der Trägerrakete gefüllt. Diese Vorgänge bergen eines der größten Risiken beim Start: Durchfluss und Temperatur müssen laufend angepasst werden, um eine angemessene Befüllung zu gewährleisten und mögliche Lecks zu vermeiden, sowohl für die Trägerrakete als auch die Bodenanlagen. Bei dieser Gelegenheit werden die kryogenen Leitungen zwischen Trägerrakete und Startrampe getestet.

 

 

180 Tonnen flüssiger Wasserstoff und Sauerstoff

Die Hauptstufe enthält 150 Tonnen Treibstoff, d. h. 25 Tonnen LH2 und 125 Tonnen LOx. Die Oberstufe ihrerseits ist mit 30 Tonnen Treibstoff gefüllt, d. h. 5 Tonnen LH2 und 25 Tonnen LOx. Insgesamt befinden sich am Ende des Füllvorgangs 180 Tonnen Treibstoff in der Trägerrakete. Dann beginnt die Kühlung des Vulcain 2.1-Triebwerks und seiner Turbopumpen, in denen diese flüssigen Treibstoffe mit hoher Geschwindigkeit zirkulieren werden.

Bis zu diesem Zeitpunkt haben die Ingenieure im Weltraumbahnhof in Kourou, im Kontrollzentrum des CDL3 (Startkomplex Nr. 3) sowie in Kontinentaleuropa, insbesondere im Engineering-Zentrum „Space Code“ von ArianeGroup in Les Mureaux (Frankreich), Tausende von Parametern auf ihren Bildschirmen genauestens überwacht. Jetzt beginnt die automatische Überprüfung aller boden- und bordseitigen Systeme. Diese wechseln nach und nach in den automatischen Modus, der vollständig computergesteuert ist. Dieser Vorgang wird durch die grünen Kontrollleuchten „Bereit für Synchro“ auf den Bildschirmen der Kontrollzentren angezeigt.

 

 

Synchronisierte Sequenz

Fünf Minuten vor der Zündung der Hauptstufe wechselt das System in die „synchronisierte Sequenz“, die 13 Sekunden vor „T0“ (Lift-off) irreversibel wird. Alle Kontroll- und Steuerfunktionen gehen dann von den bodenseitigen Prüfständen zu den Avioniksystemen an Bord der Trägerrakete über, die somit autonom wird. Während dieser Sequenz wird jeder abweichende Parameter, der außerhalb des Toleranzbereichs liegt,  mit einer roten Kontrollleuchte signalisiert, worauf die Trägerrakete in die Wartekonfiguration versetzt wird. Die Teams müssen dann die Fehlerquelle identifizieren, die Ursache definieren und Lösungen finden, um einen sicheren Neustart der Sequenz zu ermöglichen.

Wenn nach der synchronisierten Sequenz alle Kontrollleuchten grün sind, startet das System automatisch die Zündung des Vulcain 2.1-Triebwerks mit Brennern, die sich auf der Startrampe befinden. Wasserstoff und Sauerstoff strömen in die Brennkammer, entzünden sich und erzeugen fast augenblicklich einen Schub von 135 Tonnen. Im stabilisierten Betriebszustand verbraucht das Triebwerk 760 Liter pro Sekunde, und seine Wasserstoffturbopumpe dreht sich mit über 33.000 Umdrehungen pro Minute. Bei diesem Test lief das Triebwerk über 7 Minuten lang ohne Unterbrechung und deckte die gesamte Flugphase der Hauptstufe ab. Die Beweglichkeit des Vulcain 2.1-Triebwerks wurde in dieser Phase mehrfach getestet, da diese Funktion eine wesentliche Rolle spielt: Sie gewährleistet die Steuerung der Trägerrakete im Flug nach Abtrennung der Booster.

Zurücksetzen in die Testkonfiguration

Nach Abschalten des Triebwerks war der Test jedoch nicht beendet. Die Teams mussten noch zahlreiche Vorgänge durchführen: Druckentlastung der Ausrüstung und fluidtechnischen Leitungen, Entleerung und Reinigung der Tanks, insbesondere der noch vollen Oberstufentanks, Abschaltung der elektronischen und elektrischen Bordgeräte, Rückführung des mobilen Portals auf die Startrampe usw.  Alle diese Maßnahmen nach Abschluss der Tests ermöglichten es, die Trägerrakete zurück in die Konfiguration für neue Tests zu setzen.

Die kombinierte Testkampagne ist nun abgeschlossen. Das Testmodell wird zur Demontage und Lagerung von der Startrampe entfernt, um Platz für das Flugmodell der Ariane 6 zu schaffen.

„Komplette Harmonie: Als ich die Teams dabei beobachtete, wie sie gemeinsam die Tests durchführten, hatte ich das Gefühl, vor einem Orchester zu sitzen.“

François Deneu, Leiter des Ariane-6-Programms