18.01.2022
Weshalb das am 25. Dezember an Bord der Ariane 5 gestartete James-Webb-Weltraumteleskop zur Erkundung der Tiefen des Weltraums seine Position am zweiten Lagrange-Punkt beziehen wird
Das James-Webb-Weltraumteleskop steuert auf ein ganz besonderes Ziel zu, das alle mit der erfolgreichen Durchführung der Mission zusammenhängenden, anspruchsvollen Vorgaben eindeutig erfüllt. Der Zielort ist 1,5 Millionen km von der Erde entfernt und wird als Lagrange-Punkt (L2) bezeichnet.
L2 liegt an einer direkten, durch Sonne und Erde verlaufenden Linie, gerade einmal 1% weiter entfernt von der Sonne als von der Erde, und ist damit der optimale Beobachtungspunkt für ein Weltraumteleskop wie Webb.
Lagrange-Punkte – wo Kräfte aufeinandertreffen
L2 ist eine von fünf markanten Stellen im System Sonne-Erde, an denen die wechselwirkenden Gravitationskräfte dieser beiden Körper sich gegenseitig aufheben, sodass ein dort positioniertes kleineres Objekt, wie etwa ein Raumschiff, durch das entstehende Kräftegleichgewicht am selben Ort „verharrt“. Es behält also in Relation zu Erde und Sonne eine stabile Position bei und hängt auf seiner Reise um die Sonne an der Erde wie ein Beiwagen am Motorrad. Da nur minimale Kurskorrekturen erforderlich sind, sinken auch die Treibstoffausgaben.
Aus der Sicht eines Raumfahrzeugs am L2-Punkt könnte der Eindruck entstehen, als würde die Erde die Sonne teilweise blockieren und damit die den Solarmodulen zur Verfügung stehende Energiezufuhr reduzieren. Deshalb wird Webb L2 sechs Monate lang in einigen tausend Kilometern Entfernung und einer elliptischen Umlaufbahn umkreisen, damit das Raumschiff während seiner Mission niemals in den Schatten von Erde (oder Mond) gerät.
Die stabile, lineare Anordnung von Sonne, Erde und Raumschiff am Lagrange-Punkt L2 macht diesen zum perfekten Arbeitsumfeld für Webb und die monatelange 1,5-Kilometer-Reise in jedem Fall wett.
Ein klirrend kaltes Zuhause – mit ein paar „heißen Details“
Webb wird versuchen, Infrarotsignale aus der Frühzeit des Universums zu erkennen, darunter selbst kleinste Spuren langwelliger Wärmestrahlung. Zu diesem Zweck müssen seine Instrumente unvorstellbar kühl gehalten werden, und zwar bei um die -225°C. Genau gesagt muss das Teleskop kälter sein als das ins Visier genommene Infrarotlicht, um eine Verfälschung der Beobachtungen zu vermeiden. Außerdem gilt es, alle externen Hitze- oder Lichtquellen abzublocken. Am L2-Punkt ist es zwar von Natur aus ziemlich frostig, aber Webb braucht zusätzliche Abkühlung.
Webbs Lösung ist genial und einmalig zugleich: Ein gigantisches Sonnenschutzschild (22 m x 14 m) aus fünf hauchdünnen Schichten sorgt für die erforderliche eiskalte und temperaturbeständige Umgebung an der zum Weltraum gewandten Seite des Raumschiffs mit seinen Spiegeln und Instrumenten, während die zur Erde gewandte Seite exponiert bleibt und so die Solarmodule die Sonnenwärme (bis zu 100°C) ungehindert aufnehmen können. Dieses technologische Meisterwerk wäre ohne den L2-Standort jedoch völlig nutzlos. Er bietet mit der linearen Ausrichtung von Sonne, Erde, Mond und den Heißteilen des Raumschiffs nämlich die unabdingbare Aneinanderreihung aller Wärmequellen, die stets dieselbe Richtung hinter dem Sonnenschutzschild beibehalten.
Ein Domizil mit Panoramablick
Mit einem Instrumentarium, dass permanent nach außen gerichtet ist, hat Webb von seinem L2-Aussichtspunkt aus und mit Sonne und Erde stets „im Rücken“ einen dauerhaften, uneingeschränkten und schattenlosen Ausblick auf die anderen Planeten unseres Sonnensystems und das dahinterliegende Universum. Im Gegensatz zu einem Raumschiff in der Erdumlaufbahn durchläuft ein Raumschiff am L2-Punkt niemals den Erdschatten und ist auch keinen Temperaturschwankungen ausgesetzt. Die Geräte bleiben so unbeeinträchtigt und der Blick frei.
Bei seiner Umrundung der Sonne wird Webb auch die gesamte Himmelskugel im Jahresverlauf beobachten können.
Ein energiesparendes Domizil
Am L2-Punkt surft ein Raumfahrzeug sozusagen auf den Gravitationskräften von Sonne und Erde und benötigt keine energie- bzw. treibstoffkonsumierenden Manöver, wie dies in anderen Umlaufbahnen der Fall wäre, was zu einer Maximierung der Lebensdauer führt.
Während seines Aufenthalts am Lagrange-Punkt 2 wird Webb seine Triebwerke dennoch hie und da zünden müssen, um seine ihm zugedachte Position beizubehalten und Kursabweichungen vorzubeugen. Voraussichtlicht wird Webb aber nur alle drei Wochen etwas Treibstoff verbrennen müssen, um in seiner Umlaufbahn zu bleiben.
Ein kontaktstarkes Domizil
Von der Erde aus betrachtet verharrt ein am L2-Punkt positioniertes Raumfahzeug immer an derselben Stelle am Himmel. Da Webb seinen Standort im Verhältnis zur Erde beibehalten wird, ist eine durchgängige Kommunikation mit Hilfe des Deep Space Networks der NASA möglich. In diesem Zusammenhang fungieren die drei Funkantennen rund um den Globus als Relaiskontakte, während die Erde rotiert, um Anweisungen an Webb zu übermitteln und Daten zu empfangen.
©ESA
Die Eingewöhnungsphase
Hat Webb seine Umlaufbahn um L2 erst einmal erreicht, kommt es vor Beginn des wissenschaftlichen Betriebs zu einer sechs Monate andauernden Phase der Justierung und der Systemprüfungen. Wir sind absolut gespannt auf die ersten Ergebnisse!
In bester Gesellschaft (nochmals vielen Dank, Ariane 5!)
James Webb ist nicht die erste Mission, die Ariane 5 zu L2 durchführt; die Observatorien Herschel und Planck waren zwischen 2009 und 2013 dort in Betrieb, nachdem sie von unserer Trägerrakete ins All geschickt worden waren.
Das James-Webb-Weltraumteleskop ist ein Gemeinschaftsprojekt der US-Raumfahrtbehörde NASA, der Europäischen Weltraumorganisation ESA und der Kanadischen Weltraumbehörde CSA.