Was Sie schon immer über den Start des James-Webb-Weltraumteleskops wissen wollten, jedoch nie zu fragen wagten

Interview mit Stéphane Leboucher, dem Leiter der Ariane Mission Preparation and Customization

Können Sie sich bitte kurz vorstellen?
Mein Name ist Stéphane Leboucher. Ich bin seit 34 Jahren als Ingenieur für ArianeGroup im Einsatz und 56 Jahre alt. Begonnen habe ich meine berufliche Laufbahn in der Technischen Leitung, wo ich anfangs Szenarien in Zusammenhang mit der ballistischen bzw. Freiflugphase ausgearbeitet habe, um später über die Beschäftigung mit den Antriebsphasen meinen Arbeitsbereich zu erweitern. Nach rund zwanzig Jahren bin ich dann in den Startbereich gewechselt.

Worin genau besteht Ihre Tätigkeit?
Wir stellen sicher, dass die jeweilige Mission auch mit dem Einsatzbereich übereinstimmt, für den die Trägerrakete konzipiert wurde. Dazu müssen wir eine bestimmte Anzahl von Untersuchungen durchführen und für die spezifische Mission auch ergänzende Qualifikationen starten. Wir legen die Flugbahn und den Ablauf der ballistischen Flugphase fest und steuern die für den Start des Weltraumteleskops James Webb enorm wichtige Absetzung der einzelnen Stufen und Komponenten. Außerdem kontrollieren wir die Kompatibilität der thermischen und dynamischen Umgebungsverhältnisse, die seitens der Rakete entstehen und auf die Nutzlast einwirken können, um deren Schutz bis zur Auslieferung zu gewährleisten.

‘@ArianeGroup – James Webb Télescope Spatial

Unterscheidet sich die aktuelle Trägerrakete von ihren Vorgängerinnen?
Ja, insbesondere die Entlüftungselemente in der Verkleidung wurden abgeändert, um der Gefahr von Beschädigungen Webbs durch den Druckabfall beim Abwurf der Nutzlastverkleidung vorzubeugen. Das hätte passieren können, wenn Restluft in den gefalteten Membranen der Sonnenschutzvorrichtung von Webb eingeschlossen wäre. Die Anpassungen wurden bei den beiden letzten Ariane-5-Flügen am 30. Juli und 23. Oktober erfolgreich getestet. Unsere Fangemeinde freut sich besonders darüber, dass die Ariane 5 diesmal ein Videosystem mit dem Spitznamen Viki mit an Bord nimmt. So sind sie bei allen Startphasen sozusagen live dabei.

Welche Schritte müssen vor dem Start noch unternommen werden?
Als Nächstes folgen die sogenannten „kombinierten Prozesse“. Dabei wird Webb an der Spitze der Ariane 5 positioniert und ins Innere der Nutzlastverkleidung eingepasst. Danach wird die Ariane 5 zwecks Durchführung der letzten Startvorbereitungen in die Endmontagehalle befördert. Einige Tage vor dem Start wird die Ariane auf die Startrampe gesetzt. Das Volltanken mit Flüssigwasserstoff und Flüssigsauerstoff erfolgt ein paar Stunden vor dem Abflug. Nach positiver Erledigung aller Überprüfungen wird der Startvorgang eingeleitet.

Was könnte zu einer Verzögerung führen?
Gründe für den Aufschub eines Fluges gibt es viele. So etwa könnte eine Bodenstation Anomalien aufweisen oder es zu einer Verschlechterung der Wetterverhältnisse im für den Start vorgesehenen Zeitfenster kommen. Aber das gehört zum normalen Ablauf dieser Phase, in der wir die letzten Überprüfungen durchführen und uns auf den Übergang in den synchronisierten Ablaufplan vorbereiten. Die Risiken sind bei dieser Rakete nicht höher und auch nicht geringer als bei jeder anderen. All unsere Techniker wissen, was bei diesem Start auf dem Spiel steht. Unsere Arbeit machen wir dennoch so gewissenhaft wie immer. 

Warum wurde gerade die Ariane 5 für diesen Start ausgewählt?
In erster Linie handelt es sich bei diesem Teleskop um eine internationale Zusammenarbeit. Der Beitrag der ESA besteht in der Bereitstellung der Startdienste. Sie hat die Ariane 5 ausgewählt, weil sie als einzige Trägerrakete mit langer Nutzlastverkleidung (5,4 m Durchmesser) für die Aufnahme des 6,2 Tonnen schweren Teleskops geeignet ist. Außerdem haben wir seit nunmehr 10 Jahren die Leistungsfähigkeit der Ariane 5 kontinuierlich gesteigert und dabei stets ihre Zuverlässigkeit unter Beweis gestellt.

Sind die Teams hinsichtlich des Starts des James-Webb-Weltraumteleskops schon sehr aufgeregt?
Dieser Start hat eine ausgeprägte psychologische Komponente, zumal es hier um die teuerste Fracht geht, die jemals ins All geschossen wurde. Alle wünschen sich, dass der Start gelingt, aber das gilt für jeden Ariane-5-Start. Das war bei BepiColombo, Rosetta und Galileo nicht anders. Jeder Start ist mit einem gewissen Stress verbunden, aber er ist positiv. Alle Beteiligten geben in ihrem Bereich ihr Bestes, damit die Trägerrakete ihre Mission auch erfolgreich absolvieren kann. 

Sinkt denn der Stresspegel gleich nach dem Start?
Man muss wissen, dass die Raketenmission mit der Aussetzung des Teleskops noch nicht abgeschlossen ist, sondern erst nach Treffen aller Sicherheitsvorkehrungen an der Oberstufe bezogen auf das Teleskop. Das erste Mal kann man also rund 1.500 Sekunden nach Absetzung des Teleskops durchatmen. Am Folgetag sichten wir dann die Gesamtheit der Parameter von Trägerrakete und Teleskop, um sicherzustellen, dass beim Start alles glatt gelaufen ist. Nach weiteren 13 Tagen stellt das Teleskop seine Spiegel wieder her. Wir beobachten es bis zu seiner Ankunft am Lagrange-Punkt (L2), das ist 29 Tage nach dem Start. Dadurch erhalten wir die Bestätigung, dass uns unsere Arbeit gelungen ist.

Was bewirkt Ihre Mitarbeit an diesem bahnbrechenden Flug bei Ihnen?
Es wird einem bewusst, dass es sich um einen ganz besonderen Start handelt, der mit hohen Erwartungen seitens der Wissenschaft verbunden ist. Und auch die Bilder werden mit Hochspannung erwartet. Wir haben aber schon einiges erlebt und hoffen auf viele weitere spannende Momente! 

Vielen Dank an Stéphane Leboucher für die uns gewidmete Zeit. Wenn Sie weitere Infos zur Mission des James-Webb-Weltraumteleskops wünschen, dann abonnieren Sie einfach unseren Newsletter. Näheres zum Thema finden Sie auch auf der Webseite der ESA: