26.10.2022
Die Hoheit über ein eigenes Weltraumtransportsystem ist ein Schlüsselelement für Europas Eigenständigkeit. Der Aufbau eines solchen Systems erfolgt über einen langen Zeitraum, weshalb der technologische Wandel und weitere Entwicklungen frühzeitig mit einbezogen werden müssen. Die Europäische Weltraumorganisation ESA und die Europäische Kommission haben hierzu umfassende Initiativen ins Leben gerufen. ArianeGroup schlägt eine Serie wiederverwendbarer und umweltverträglicher Trägerraketen vor.
© NEST
Im März 2021 startete die ESA eine Initiative namens NESTS (New European Space Transportation Solutions). In diesem Zusammenhang wurden Forschungsaufträge für den Zeitraum 2030 bis 2050 im Hinblick auf an die Ariane 6 anschließende Weltraumtransportlösungen vergeben. Als Hauptauftragnehmer für die Trägerraketen Ariane 5 und Ariane 6 hat natürlich auch ArianeGroup ihre Visionen und Empfehlungen im Detail vorgestellt. Um den Zuschlag zu erhalten, setzte ArianeGroup auf die intensive Zusammenarbeit mit verschiedensten Partnern, die sich zu einem Konsortium zusammengefunden haben. Renommierte Unternehmen wie Airbus, Thales Alenia Space und Telespazio, New-Space-Unternehmen wie Orbex (Microlauncher) oder D-Orbit (intraspatialer Transport) und die EPFL (Eidgenössische Technische Hochschule Lausanne) haben allesamt ihr Know-how und ihre verschiedenen Perspektiven eingebracht und verfassten unter Federführung von ArianeGroup ein schlüssiges Konzept für unsere Weltraumzukunft.
Dabei wurden mit „Resilienz“, „Sicherheit“ und „Revolution im Weltraum“ drei potenzielle Zukunftszenarien beleuchtet. Darin hat das Team alle Arten von Missionen aufgezeigt, die Europa bis 2030 benötigen wird, sowohl institutionell als auch kommerziell. Im Rahmen des Projekts hat sich gezeigt, dass die drei Szenarien die gleichen Arten von Missionen benötigen, allerdings in deutlich unterschiedlicher Anzahl. So etwa erfordert „Revolution im Weltraum“ erheblich mehr bemannte Flüge als das Szenario „Sicherheit“. Basierend auf dieser Analyse von Markt und unterschiedlichen Szenarien hat ArianeGroup der ESA eine radikale Neuausrichtung bei der Erschließung des Weltraums vorgeschlagen.
Über den Space Hub zum Ziel
Die Trägerraketen von heute steuern im Rahmen ihrer Missionen direkt Ziele wie niedrige Erdumlaufbahnen, die Tiefen des Weltalls oder den Mond an. Verfolgt wird dabei ein Ansatz der direkten Verbindung zwischen zwei Orten (Point-to-Point). Zu diesem Zweck müssen die Trägerraketen entsprechend ihrer Mission unterschiedliche Charakteristika aufweisen. Ein Paradigmenwechsel mit dem Übergang zu einer „vernetzten Weltraumlogistik“ steht an. Die Raketen fliegen dabei in die niedrige Erdumlaufbahn (LEO) und einen außerhalb des Van-Allen-Rings gelegenen, als „Park-Umlaufbahn“ bezeichneten Orbit. Die im Weltraum positionierten Transportfahrzeuge befördern die Nutzlasten dann von dort aus an ihre endgültigen Bestimmungsorte. Es handelt sich folglich um eine Art Drehkreuz-System (Hub), wie es auch im Luftfahrtsektor angewendet wird.
Europa wird also eine Raketenflotte benötigen, die flexibel an die sich stetig verändernden Anforderungen des Marktes angepasst werden kann. Die einzelnen Trägerraketen müssen in der Lage sein, szenariounabhängig alle künftig in Europa benötigten Missionen zu erfüllen. Ergänzt wird die Flotte durch eine Reihe von Weltrauminfrastrukturen und Raumfahrzeugen zur Gewährleistung der „In-Space Transportation“ bzw. der Beförderung im All.
Modular, wiederverwendbar und umweltfreundlich
Modular, wiederverwendbar und umweltfreundlich, das sind die Anforderungen, welche die Trägerraketen von Morgen zu erfüllen haben. Dank der Kombination aus Nutzung gemeinsamer Technologien und Wiederverwendung von Standard-Bauteilen wie etwa den Triebwerken wird eine deutliche Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit möglich. Mit Hilfe der unterschiedlichen Konfigurationen werden je nach Bedarf unterschiedlich schwere Nutzlasten in den Orbit gelangen. Die Bandbreite reicht dabei von Satelliten aller Größen bis hin zu Raumstations-Modulen oder Raumfahrzeugen, mit denen Astronautinnen und Astronauten im All fliegen können. Zu diesem Zweck umfasst die von ArianeGroup vorgeschlagene Serie auch eine mit wiederverwendbaren Stufen ausgestattete Mini-Trägerrakete sowie eine Version für mittelschwere Lasten und eine Schwerlast-Trägerrakete, wobei jede Rakete eine Vergrößerung ihrer Vorgängerin darstellt. Geplant ist außerdem eine Trägerrakete für „Super-Schwerlasten“ bestehend aus einer durch Nutzung der ersten Stufe der Mini-Rakete boosterverstärkten Schwerlast-Trägerrakete, wie dies aktuell bereits mit der ersten Stufe der Vega-C und den Ariane-6-Boostern gemacht wird.
Alle Trägerraketen werden mit Prometheus®-Triebwerken mit mindestens 120 Tonnen Schub ausgestattet sein. Sie werden mit Flüssigsauerstoff und Methan betrieben. Aktuell entwickelt ArianeGroup im Rahmen eines Projekts der ESA dazu den Prometheus®-Demonstrator. Die Technologien zur künftigen Wiederverwendung befinden sich im Rahmen des Themis-Programms derzeit ebenfalls in Entwicklung. Es geht dabei um ein weiteres Demo-Programm der ESA, dessen Leitung ArianeGroup übernommen hat. Ziel ist der Testflug einer wiederverwendbaren Raketenstufe mit dem Prometheus®-Triebwerk.
© NEST
Kleine Schwester namens Maia
MaiaSpace ist ein mit der Entwicklung der wiederverwendbaren Maia-Minirakete beauftragtes, von ArianeGroup gegründetes Unternehmen. Dabei soll die Weiterentwicklung der für die europäischen Trägerraketen der Zukunft benötigten Technologien der Wiederverwendung vorangetrieben und gleichzeitig äußerst konkurrenzfähige Startdienstleistungen bereitgestellt werden. Maia entspricht gänzlich der von ArianeGroup im Rahmen der NESTS-Initiative der ESA vorgestellten Zukunftsvision, denn die Mini-Rakete ist die erste Angehörige der neuen Trägerraketen-Familie. Als Start-up-Unternehmen bedient sich MaiaSpace agiler Entwicklungsmethoden. Wie all ihre anderen zukünftigen europäischen Verwandten setzt auch Maia auf das Prometheus®-Triebwerk und die im Rahmen des Themis-Projekts einer wiederverwendbaren Raketenstufe entwickelten Technologien.