29.12.2021
Wann er das erste Mal auf den Mond fliegen wird, hat er uns nicht verraten. Aber das Geheimnis hinter den zahlreichen Innovationen der ArianeGroup
Gerald Hagemann, „Head of Liquid Propulsion“ im „Technical Directorate“ bei der ArianeGroup, ist seit über 30 Jahren in der Luft- und Raumfahrtbranche unterwegs.
Was heißt eigentlich „Innovation“ in der Raumfahrt?
In der öffentlichen Wahrnehmung steht die Raumfahrt für Innovation wie kein anderer Bereich. Das sehen wir bei der ArianeGroup genau so – und haben uns daher „der Innovation“ voll verschrieben. Allerdings haben sich der Blickwinkel und die Motive für Innovation ein wenig geändert. Ging es vorher um das Ausloten von Grenzen bzw. sich an Grenzen heranzutasten, stehen mittlerweile die Zuverlässigkeit, Reduktion von Kosten und vor allem die Nachhaltigkeit im Vordergrund. Das heißt alle Innovationen drehen sich immer auch um eine möglichst nachhaltige und Ressourcen schonende Raumfahrt, welche einen wertvollen Beitrag zur Klimaforschung und damit auch zum Klimaschutz leistet. Wir bei der ArianeGroup nennen das bewusste Raumfahrt.
Um es ein wenig zu veranschaulichen: Seit über 40 Jahren haben wir Erfahrung und Know-how im Bereich Wasserstoff aufgebaut. Dieses Wissen stellen wir – ganz im Sinne des European Green Deal – anderen gewichtssensitiven Branchen wie der Luftfahrt und dem Schwerlastverkehr gerne zur Verfügung. Im Kern geht es darum, Wasserstoff als Ersatz von fossilen Brennstoffen zu etablieren.
Grundsätzlich sehen wir, dass in den letzten Jahren der kommerzielle Wettbewerb stark zugenommen hat, da der Weltraum als Geschäftsfeld in vielerlei Hinsicht immer bedeutender und attraktiver wird. Innovation fokussiert sich daher vor allen Dingen auf Kostenreduktion und die Optimierung Wertschöpfungskette und die damit verbundene Steigerung der europäischen Wettbewerbsfähigkeit im internationalen Vergleich.
Was heißt das nun konkret im Arbeitsalltag?
Die besondere Herausforderung in unserer Branche ist doch, dass es „keinen Weg zurück gibt“: Rückrufaktionen bei Raketen sind schlichtweg nicht möglich – anders als etwa in der Automobilindustrie. Daher stehen neben dem Kostengesichtspunkt auch vor allem die Themen Sicherheit und Zuverlässigkeit der Raketen bei all unseren Anstrengungen im Vordergrund. Konkret arbeiten wir mit Hochdruck daran, unsere Raketen dank innovativer Materialien wie z.B. Kohlefaser möglichst leicht und robust zu bauen, um möglichst viel Nutzlast kostengünstig und dann im nächsten Schritt auch nachhaltig transportieren zu können. Um ein Beispiel zu geben: Die Ariane 6, unser neuer Europäischer Schwerlastträger, hat – trotz des eher klassischen Designs der Rakete – viele Innovationen „getankt“: zahlreiche innovative Bauteile, 3D gedruckte Bauteile, laser-basierte Systeme zur Stufentrennung, neue Wege zur Tankbedrückung.
Wie entstehen Innovationen bei der ArianeGroup?
Die besten Ideen stecken in den Köpfen unserer Mitarbeiter. Sie sind der wichtigste Treiber für Innovation bei ArianeGroup. Hier gilt es eine Art „Ideenscouting“ professionell aufzusetzen. Das haben wir getan. In unserem internen Verbesserungswesen etwa können Mitarbeiter*innen kontinuierlich Verbesserungsvorschläge machen, die dann analysiert werden. Oder nehmen wir unser „Innovationshaus“, eine Art interner Innovation Hub: Hier werden grundlegende Prinzipien auf Eignung untersucht bis zu einer Reife von Technology Readiness Level 2. Ein Beispiel hierfür sind innovative Materialien mit Gedächtnis (so genannte Memory Alloys), die wir z.B. für den Verschluss von Ventilen verwenden wollen. Ist ein Innovationsvorschlag geeignet, wird mehr investiert um der Innovation schließlich zur „Marktreife“ zu verhelfen.
Der Technologiedemonstrator Prometheus wurde mit dem German Innovation Award 2021 ausgezeichnet. Welche Rolle spielt Prometheus für die Raumfahrt der Zukunft?
Prometheus ist ein sehr schönes Beispiel für Weiterentwicklung der Europäischen Raumfahrt. Ein Technologiedemonstrator, auf den wir alle hier sehr stolz sind. Denn, Prometheus steht für „grüne“ Treibstoffe: je nach Konfiguration kann das Triebwerk mit unterschiedlichen Treibstoffen fliegen – entweder mit Methan, z.B. aus regenerativen Quellen oder mit Wasserstoff. Darüber hinaus steht er für Wiederzündbarkeit, also Wiederverwendbarkeit und für neue Fertigungsverfahren, die vor allem auf 3D Druck basieren.
Ich bin extrem stolz auf die Begeisterung unserer Entwicklungs- und Testingenieure, die sich laufend mit neuen, innovativen Technologien beschäftigen und stets neue Wege gehen. Denn, 3D Druck ist für uns eine echte Revolution. Um hier ein wenig ins Detail zu gehen: Heute haben wir bei den Triebwerken der Ariane 5 eine Vorlaufzeit von bis zu 18 Monaten bis kritische Rohteile, wie z.B. Schmiedegussteile, in unsere Fertigungsstätten kommen. Das liegt zum einen an den exotischen Materialien, die wir verwenden, aber auch an den geringen Stückzahlen, die wie benötigen.
Der 3D Druck, mit dem wir uns bei der ArianeGroup bereits seit Jahren beschäftigen, erlaubt uns nun, diese Durchlaufzeiten inklusive dem Vorlauf drastisch zu reduzieren: Wir bestellen das Pulver und drucken dann, wenn das entsprechende Bauteil benötigt wird. Zudem vereinfachen wir den Integrationsaufwand: der 3D Druck erlaubt es, komplexe, multifunktionelle Anforderungen in einem einzigen Bauteil zu realisieren: z.B. der Einspritzkopf eines Raketenmotors. Klassisch besteht dieser aus einigen tausend Komponenten, die mit entsprechendem Aufwand zusammengesetzt werden. Dank 3D Druck ist das nur noch ein einziges Bauteil.
Welche weiterführende Innovation sehen Sie im Bereich Luft- und Raumfahrt?
Grundsätzlich sehen wir, dass der globale Wettbewerb der Treiber ist, der Innovationen in unserer Branche beschleunigt. Dem wollen uns müssen wir uns weiter stellen. Zunächst liegt unser Fokus auf Absicherung der Wettbewerbsfähigkeit der Ariane 6 durch konsequente Kostenreduktion. Wiederverwendbarkeit als ein Element zur Kostensenkung – die entsprechende Startkadenz vorausgesetzt – antizipieren wir in unserer Roadmap durch Flüssig-Booster für die Ariane 6, basierend auf Prometheus und Themis. Das wäre auch ein weiterer Schritt zur Nachhaltigkeit durch Wiederverwendbarkeit und flüssige Treibstoffe aus regenerativen Quellen.